Die ersten 5O Jahre
Eine Chronik über einen Verein zu schreiben, der im Jahre 2002 hundert Jahre alt wurde, sollte aus der Sicht eines Menschen im
Medienzeitalter eigentlich recht einfach sein. Wird nicht alles schon seit hunderten, ja tausenden von Jahren in den vielfältigsten Formen
dokumentiert. Hieroglyphen aus Ägypten oder Keilschriften der Sumerer wurden übersetzt, in Stein geschlagene lateinische Inschriften sind
sogar im Taunus zu besichtigen und Schriften Homers, Tacitus oder die klassischen "Quäl"texte von Caesar oder Cicero haben Jahrtausende
überstanden. Abschriften wissenschaftlicher und theologischer Schriften des frühen Mittelalters sind vorhanden und dann soll es Problem mit
einem 100-jährigen Karnevalverein geben. Gibt es. Das Dorf Oberhöchstadt am Fuße des Altkönigs hatte Anfang des 20. Jahrhunderts leider
nicht den Stellenwert, den die damalige Presse veranlassen konnte über die Gründung eines Karnevalverein zu berichten. Tauchten ja in den
damaligen Zeitungen (meist vier! Seiten stark) kaum Informationen aus den größeren Gemeinden auf. Ein bis zwei Seiten nahmen die
Berichterstattung über die königliche Familie in Deutschland und deren Verwandten in den anderen europäischen Ländern ein. Dann vielleicht
ein bisschen Bad Homburg und Königstein, wobei auch hier der Adel dominierte. Aus den „Käffern" wurde nur berichtet, wenn die Nachricht
kurios oder spektakulär war. Die direkt erlebte Information ist bedauerlicher Weise dem natürlichen Alterungsprozess zum Opfer gefallen -
zumindest heute noch sind Lebensalter von 110 und mehr Jahren die absolute Ausnahme. So muss man sich auf immer wieder Erzähltes und
die seltenen schriftlichen Überlieferungen beschränken, wobei die nächsten Hürden auftauchen: immer wieder Erzähltes wird subjektiv verändert
und die alten noch vorhandenen Schriften sind im alten Sütterlin geschrieben. Außerdem ist anzunehmen, dass die Gründerväter unseres
Vereins sogenannte einfache Menschen waren - Bauern und Handwerker - und von diesen konnte man in der damaligen Zeit nicht unbedingt
erwarten, dass sie das Lesen und besonders das Schreiben perfekt beherrschten. Überhaupt 1902: wahrscheinlich noch kein Strom, also auch
kein Licht außer Öllampen; Telefon, Radio, Fernsehen gab es nicht. Die Telegraphie war das Non plus Ultra. Fließendes Wasser - war nicht.
Kanalisation - der gesamte Unrat aus Haus und Hof, aus Küche und Toilette floss „überirdisch" in den Bach. Oberhöchstadt - ein von
Bauernhöfen geprägtes Dorf. Autos? Kaum: Pferde- und Ochsenfuhrwerke! Die Dampfeisenbahn feierte ihre Triumphe! 37,5 Stundenwoche? Eher
12-16 Stunden am Tag - für Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen! Vielleicht nicht so hektisch wie heute, aber anstrengender, mühseliger.
Handwerksgesellen mussten noch drei Jahre auf die „Walz" gehen und während dieser Zeit ihrem Heimatort nicht zu nahe kommen, aber die
meisten Menschen, besonders die Frauen hatten Bad Homburg oder gar Frankfurt ihr ganzes Leben nicht zu Gesicht bekommen.
10 bis 15 Kinder zur Welt zu bringen, das war normal und die Lebenserwartung betrug bei weitem nicht 75 eher 45 Jahre. Das durchschnittliche
Einkommen für einen Arbeiter betrug 65 Mark im Monat, wobei er 3/5 für Lebensmittel ausgeben musste.
Und dann, im Januar 1902, in Berlin regiert Kaiser Wilhelm II, in den USA plant man den Bau des Panamakanals, im Reichstag wird die
Einführung einer Arbeitslosenversicherung gefordert, setzten sich in Oberhöchstadt einige Männer zusammen und gründeten den
Karnevalsverein Wau-Wau. Wie wir aus der Festschrift zum 60. Geburtstag des KV02 aus dem Jahre 1962 erfahren, gab es im Jahr 1901 einen,
für damalige Verhältnisse, großen Fastnachtsumzug, der von den Ortsvereinen „Germania", „Männergesangsverein 1876", den Turnern und
anderen veranstaltet wurde. Es gab u.a. eine Fußgruppe von „Kloben" rauchenden Bauern: die „Spinnstube" und eine Prinzengarde mit ihren
Prinzen Jean Christmann. Die vereinsgebundene Fastnacht, die sich seit Anfang der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts ausgehend von Köln
den Rhein hinauf bis nach Mainz ausgebreitete und dann auch im Umland Fuß fasste, hatte Oberhöchstadt erreicht. Leider steht uns das
Protokoll einer Gründungsversammlung nicht zur Verfügung. Leider gibt es auch keine Erklärung für die Bezeichnung Wau-Wau. Dass ein
bellender Hund anwesend gewesen sein soll, ist an den Haaren herbeigezogen. Interessant ist, dass im Fastnachtmuseum in Kitzingen die
Standarte eines Frankfurter Karnevalvereins hängt, der sich ebenfalls „Wau-Wau" nannte. Vermutlich eine Modeerscheinung, ähnlich der nach
dem zweiten Weltkrieg als sich viele neu gegründete Karnevalvereine ihren Namen mit Tierbezeichnungen ergänzten.
Das älteste, wahrscheinlich der konstituierenden Vorstandssitzung, erhaltene Protokoll ist im Original zu sehen, die „Übersetzung", die
Schreibweise wurde übernommen.
Der KV Wau-Wau veranstaltete in den ersten Jahren vor 1914 seines Bestehens fast jährlich einen Umzug. Die Motive der Wagen befassten sich
wie auch heute mit den aktuellen Tagesthemen, so z. B. mit dem Burenfeldzug oder als 1911 das elektrische Licht in Oberhöchstadt installiert
wurde, mit dem Reim „Das elektrisch´ Licht bekommt Ihr nicht, weil das Petroleum noch zu billig ist". Wie aus den Protokollen ersichtlich ist
gehörte zu einem solchem Zug ein Prinz.
Noch war der Verein recht klein, so waren bei der Versammlung am 31. Januar 1903 18 Mitglieder anwesend und unter dem
Tagesordnungspunkt Namensverles wurden keine fehlenden Mitglieder festgestellt. Bei einer Mitgliederzahl von 20 oder auch noch 100 ein zu
bewältigender Tagesordnungspunkt, bei einer Mitgliederzahl von über 400 ein fast abendfüllendes Programm. In dem im Original abgedruckten
Protokoll taucht auch der Begriff des Erhebers auf. Dieser war für die Mitgliedsbeiträge zuständig, wobei er kein Vorstandsmitglied war. In
späteren Jahren wurde dieses Amt als Unterkassierer bezeichnet. Den meisten Erhebern wurde ihre – gestern wie heute – unangenehme Aufgabe
vergütet. Teilweise mit Festbeträgen so z.B. 1922 mit 6 Mark oder im Jahre 1932 mit 10% der eingesammelten Beiträge. Eins sollte man dabei
nicht vergessen, die 10 Pfennig monatlicher Mitgliedsbeitrag entsprachen etwa dem Arbeiterlohn von einer halben Arbeitsstunde, die man
monatlich, eventuell sogar auf zwei Raten ein"treiben" musste. Weitere Einnahmen waren die Maskenbälle. Während die Sitzungen am
Rosenmontag stattfanden wurden die Maskenbälle auf den Fastnachtdienstag gelegt. Der Eintritt betrug 1903 15 Pfennig, allerdings musste
dann noch Tanzgeld bezahlt werden. Für Mitglieder war der Eintritt frei. Im gleichen Jahr betrug dieses Tanzgeld 30 Pfennig, dafür bekam man
einen Stern, den man sich sichtbar anheften musste, denn es wurde kontrolliert. Zu diesem Zweck bestimmte die Generalversammlung
mindestens zwei, später drei sogenannte „Zopfer". Im Jahre 1903 waren dies Jakob Velte und Peter Schreibweis. Es ist anzunehmen, dass man
nur nach bezahltem Tanzgeld auch die Tanzfläche betreten durfte. Eine für den Kassierer sehr lukrative Einrichtung, konnte man doch nicht nur
die Kapelle bezahlen, 30 Mark am Abend – die ersten drei Jahrzehnte spielte der Humoristenverein Fidelio – es blieb wohl noch so viel übrig, dass
man 1907 den Mitgliedsbeitrag abschaffte und jedem Mitglied 6,50 Mark ausbezahlte. Lediglich eine Aufnahmegebühr von 2 Mark blieb
bestehen. Wir müssten heute dann etwa 100 DM nehmen.
Ein weiterer Tagesordnungspunkt der Generalversammlungen war die Abstimmung über neue Mitglieder. Da konnte es durchaus vorkommen,
dass ein Antragsteller abgelehnt wurde. Einer, der über Jahre fast jährlich den Antrag stellte und immer wieder abgelehnt wurde war der Wirt
Peter Hirt. 1904 wurde das erste Mal über seinen Aufnahmeantrag abgestimmt - abgelehnt. 1905 erneute Abstimmung - abgelehnt. 1912 endlich
wurde seinem Wünsch nachgekommen und er war Mitglied des KV Wau-Wau.
Langsam gab sich der Verein auch Regeln. So wurde 1904 eine Statutenkommission gebildet, der außer dem Vorstand auch noch Johann und
Philipp Konradi, Georg Haub, Jakob Velte und Karl Mollard angehörte. Zum Vorsitzenden hatte man Nikolaus Schreibweis gewählt, der 1903
auch Sitzungspräsident gewesen war. Die Probleme ähnelten den heutigen: 1905 wurde der Ausschluss aller säumigen Mitglieder beschlossen.
1907 erweiterte sich der Vorstand: dem 1. Vorsitzenden wurde nun ein 2. zugeordnet. Ob es einen Umzug gegeben hat ist nicht ersichtlich. Fakt
ist, dass im Jahr vorher Peter Hildmann sich bereit erklärt hatte einen Zug zu organisieren und auch selbst den Prinzen „zu markieren".
1908 gab es eine Neuerung. Zur Sitzung wurde nun 10 Pfennig Eintritt genommen, dafür erhielt aber jeder eine Kappe (wahrscheinlich aus
Papier). Weitere Neuerungen: Johann Kopp stellte den Antrag, dass wenn ein Mitglied auf den Fastnachtsonntag, Rosenmontag oder
Fastnachtdienstag heiratet, ihm ein Ständchen mit Musik zu bringen sei. Genehmigt! Ein weiterer Beschluss war: Wird ein Mitglied an einem
Sonntag beerdigt gehen alle Mitglieder mit der Leich! Sollte die Beerdigung werktags sein, geht eine Deputation mit. Auf jeden Fall wird ein Kranz
mit Schleife niedergelegt. Harte Bandagen wurden im kommenden Jahr angelegt: Wer sich vor dem Arbeitseinsatz für den Verein drückt, wird
ausgeschlossen! Auch war wohl der Kassenbestand nicht mehr so wie er sein sollte, man führte wieder einen Beitrag ein: 50 Pfennig im Jahr. Die
Fastnacht war inzwischen en vogue in Oberhöchstadt. Zumindest wollten wohl die Wirte dem Verein Konkurrenz machen. So wurde 1910
beschlossen, dass in den Wirtschaften wohl Kappenabende veranstaltet werden dürfen, es aber nicht gestattet war Eintritt zu nehmen und es
dürfte keine Bütt aufgestellt werden. Es gab auch den ersten Elferrat, der von der Generalversammlung gewählt wurde. Ihm gehörten an: Johann
Limbach, Johann Conradi (jetzt mit C), Johann Hildmann, Georg Beitz, Georg Haub III, Georg Haub II, Jakob Velte, Georg Conradi, Karl
Schreibweis, Johann Ried und Johann Löhr. Langsam wurde alles teurer: die Sitzung kostete 1911 20 Pfennig (mit Kappe), der Maskenball 30
Pfennig (ohne Kappe), Tanzgeld 50 Pfennig für Nichtmitglieder. Ein Umzug wurde abgelehnt, eine Kräbbelzeitung erstellt, allerdings 1912 aus
Kostengründen fallen gelassen. Wichtig war auch die Menge der Getränke, die der Kapelle zustand. In diesem Jahr gab es pro Abend drei 36er
Bembel. 1913 dann beschloss man für die Mitglieder aus der Vereinskasse Zylinder anzuschaffen. Stückpreis 2,50 Mark. Wer im übrigen
Frauennamen vermisst, es gab keine Frauen im Verein. Erst 1952 nach der Neugründung wurden Frauen als Mitglieder zugelassen. 1914 dann
schlug die Kapelle Fidelio zu: die Gage wurde von 30 auf 45 Mark erhöht. Allerdings sollte dies auch für fünf Jahre die letzte Kampagne gewesen
sein, denn mit der Ermordung des Kronprinzen in Sarajewo begann der 1. Weltkrieg. Am Ende gab es kein deutsches Königreich und kein
Österreich-Ungarn mehr, die deutsche Wirtschaft lag zu Boden und Deutschland machte unbeholfen seine ersten demokratischen Gehversuche.
1920 erst kam man zur nächsten Versammlung zusammen, allerdings erst nach der Kampagne. Der Grund lag einmal in der allgemeinen
desolaten wirtschaftlichen Lage, als auch in einem daraus resultierendem Verbot vom 11.02.1920, das „jegliches Fastnachtstreiben auf den
Straßen verbietet". Der Frankfurter Bürgerausschuss bezeichnet „jede durchtanzte und durchtollte Stunde als schwere und tief bedauerliche
sittliche Verirrung".
Was prägte dieses Jahr 1920: zum einen hohe Inflation. War der Dollar vor dem Krieg noch 4,20 Mark wert, stieg er im Februar 1920 auf 99,11!
Ein Kilo Schweinefleisch kostete 23,70 Mark. Friedrich Ebert war Reichspräsident und allein in diesem Jahr gab es drei Kanzler; zwischendrin
noch den rechtsradikalen Kapp-Putsch. Der Versailler Vertrag trat in Kraft und der Völkerbund als Vorläufer zur UNO wurde gegründet. In
Russland endete der Bürgerkrieg mit dem Sieg der Sowjets und in den USA bekamen Frauen das Wahlrecht und es begann die Prohibition.
Der erste Rundfunksender der Welt begann zu senden. Der 1. FC Nürnberg wurde erstmals deutscher Meister und Jack Dempsey verteidigte
zweimal seinen Weltmeistertitel. Ludwig Ganghofer stirbt, der Stummfilm Kohlhiesels Töchter wird uraufgeführt und das Parfüm Chanel No. 5
kommt erstmals auf den Markt, während die Kunstrichtung Art Deco den Jugendstil ablöst. Viele dieser Ereignisse berührten die Bauern und
Handwerker in Oberhöchstadt nur unwesentlich, jedoch fast an der Grenze der französischen Besatzungszone (die Grenze verlief zwischen
Rödelheim und Eschborn und kurz vor Stierstadt-Zollhaus) liegend, litt man darunter, dass Frankfurt und auch Oberursel nur sehr schwer zu
erreichen waren.
In der Versammlung vom 29.02.1920 wurde der Vorkriegsvorstand wieder gewählt, lediglich auf der Position des 1. Kassierers gab es eine
Veränderung: Johann Limbach wurde für den wahrscheinlich im Krieg gefallenen Jakob Velte gewählt. Bei Eintritt in den Verein musste 2 Mark
gezahlt werden, der halbjährige Mitgliedsbeitrag wurde auf 1 Mark festgelegt. Nachdem 1921 Christian Henritzi für ein Jahr das Amt des 1.
Vorsitzenden übernahm, bildete sich 1922 unter der Führung von Heinrich Fuchs als 1. Vorsitzenden, Friedrich Ungeheuer als 2. Vorsitzender,
Johann Limbach als Kassierer und Georg Löhr als Schriftführer ein Vorstand, der bis 1935 in fast der gleichen Zusammensetzung den Verein
leiteten. Lediglich in den Jahren 1928 und 29 wurde Anton Muth als 2. Vorsitzender gewählt und ab 1930 war Heinrich Fuchs 2. und Friedrich
Ungeheuer 1. Vorsitzender. 1922 ist auch erstmals eine Mitgliederzahl überliefert: 58 Karnevalisten scharten sich im Wau-Wau zusammen. Der
inflationären Zeit entsprechend wurde am 02.04.1922 der Eintrittsbeitrag auf 10 Mark sowie monatlich 50 Pfennig festgelegt, jedoch schon in der
außerordentlichen Generalversammlung am 11.11.1922 korrigiert: 15 Mark für den Eintritt in den Verein und 10 Mark jährlicher Beitrag. Die
wirtschaftliche Situation war wahrscheinlich auch der Grund, dass es 1923 keine Fastnachtsveranstaltungen gab. Erst am 23.02.1924 traf man
sich wieder im Nassauer Hof und beschloss „nach verschiedenem Meinungsaustausch", dass der Käwwern-Verein (so nannte man sich auch) und
die Humoristen (ein weiterer Verein) keinen gemeinsamen Ball abhalten, sondern jeder für sich. Also wurde beschlossen am Rosenmontag eine
Sitzung und am Fastnachtdienstag einen Ball zu veranstalten. Eintritt 20 Pfennig, 3 Tänze 20 Pfennig, die France kostet 25 Pfennig. Für
„Mitglieder und eine Dame" war der Eintritt frei. Das blieb auch bis 1941 so. Auch die Mitgliedsbeiträge normalisierten sich wieder: am
24.01.1925 wurde ein Jahresbeitrag von 50 Pfennig beschlossen. Zahlbar am Sonntag den 25.01. Wer nicht zahlt wird ausgeschlossen. „Bei
Schluss der Versammlung wurden 2 Bembel Apfelwein und 5 M Fleischwurst verzehrt." Ab diesem Jahr entschied auch der Vorstand über
Neuaufnahmen und nicht mehr die Mitgliederversammlung. 1926 musste der Rechenschaftsbericht verschoben werden, „da der Kassierer durch
Abwesenheit glänzte". Wahrscheinlich lag es an dem Defizit von 4 Mark, wie am 07.02. festgestellt wurde, allerdings befanden sich nach Ende der
Kampagne wieder 184,88 Mark in der Kasse. Im Übrigen fanden alle Versammlungen, zumindest ab 1922, im Nassauer Hof statt, was 1927
durch Beschluss der Generalversammlung auch festgelegt wurde. In diesem Jahr war auch unser ältestes, leider 2001 verstorbenes
Ehrenmitglied Josef Hergenröther aktiv: er wurde als Zopfer eingeteilt, musste also am Ball kontrollieren ob jeder Tänzer für seine Tänze auch
bezahlt hat. 1927 war auch das Jahr in dem es wieder einmal einen „Kappenzug durch die Ortsstraßen" gegeben hat, der auch 1928 am
Fastnachtsonntag wiederholt wurde. Allerdings bestand Beteiligungspflicht: wer fehlte zahlte 50 Pfennig Strafe. Im Jahr darauf machte man am
20. Januar eine Kappenfahrt nach Stierstadt „zwecks Gründung eines Karnevalsvereins dortselbst". 1930 wurde für das Ehrenmal gesammelt:
der Verein gab von seinen 85,87 RM Kassenbestand 30 RM als Spende, erhöhte in der gleichen Versammlung den Jahresbeitrag von 1 RM auf 2
RM. Der die Beträge eintreibende Unterkassierer Wilhelm Kilb erhielt 10%. Schon ein Jahr später senkte man „wegen der allgemeinen Notlage"
den Beitrag wieder auf 1 RM.
Überhaupt 1931. Die Weltwirtschaftskrise stürzte auch Deutschland in bittere Notzeiten. In Berlin regierte Kanzler von Brüning mit einem
Minderheitenkabinett und Noterlassen des Reichspräsidenten von Hindenburg. Die Löhne sanken. Verdiente ein Facharbeiter 1930 noch 1,03
RM die Stunde, waren es jetzt noch 0,97 RM. Ein Kilo Brot kostete 0,39 RM. Ende des Jahres waren 5,6 Millionen Menschen arbeitslos, es kam
fast täglich zu politischen Demonstrationen von linken wie von rechten Parteien, die oft in blutigen Kämpfen endeten. Politische Morde waren fast
an der Tagesordnung. Und in den anderen Ländern der Welt sah es nicht besser aus. Diese weltwirtschaftliche Misere überdeckte ein wenig
herausragende oder bemerkenswerte Ereignisse: Der Schweizer Picard steigt mit einem Ballon 15.781 m hoch, Max Schmeling verteidigt seinen
Weltmeistertitel erneut, eine Deutsche siegt in Wimbledon und Herta BSC wird Deutscher Meister. In New York wird das Empire State Building,
mit 381 m höchstes Gebäude der Welt und in Rio de Janeiro die Christus Statue eingeweiht. Seit dem 16.01. kann man mit der Seilschwebebahn
auf die Zugspitze fahren, die JU 52 wird zunächst als Frachtflugzeug eingesetzt, in den USA stellt Campbell mit 395 km/h eine neuen Rekord für
Autos und in Deutschland der sogenannte „Schienenzeppelin" mit 230 km/h einen Rekord für Eisenbahnen auf. Das Elektronenmikroskop wird
entwickelt, erstmals bringt der Strom einer Fotozelle eine Lampe zum Brennen und auf der Funkausstellung in Berlin stellt die Firma Loewe den
ersten Fernseher mit Braunscher Röhre vor. Der Hauptmann von Köpenick wird uraufgeführt. In „Bomben auf Monte Carlo" spielen Hans Albers,
Heinz Rühmann und Peter Lorre zusammen und der Western „Cimaron" erhält als bester Film einen Oskar. Prägende Künstler waren
Paul Klee, Otto Dix, Max Beckmann während in der Architektur Walter Gropius mit der Siemensstadt prägende Akzente setzte. Aber zurück zu
unserem Verein. Wie schlecht es den damaligen Menschen in Oberhöchstadt ging, ist daran zu erkennen, dass man in der Versammlung am
17.02.1933 beschloss auf Vereinsausschlüsse wegen nicht bezahlter Beiträge zu verzichten und den Jahresbeitrag nachträglich für 1932 und 33
auf 50 Pfennig festsetzte. Dennoch veranstaltete der Verein weiterhin am Rosenmontag eine Sitzung und am Fastnachtdienstag einen
Lumpenball, wenn auch die Eintrittspreise und Tanzpreise erheblich niedriger wurden. Auch schrumpfte die Mitgliederzahl von Jahr zu Jahr
wobei der Tiefpunkt an der Versammlung am 21.01.1934 erreicht war: 24 Mitglieder waren anwesend und 19 fehlten. Auch die Machtübernahme
durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 schlägt sich nieder. Wurden 1931 und 1932 Teile des Gewinns der Winterhilfe gespendet, wird 1934
beschlossen, dass „der Überschuss der hiesigen N.S. Volkswohlfahrt zur Verfügung gestellt wird". Nachdem verschiedene Mitglieder im November
1934 den Wunsch geäußert hatten einheitliche Kappen und Vereinsabzeichen anzuschaffen, wurde dann in der Sitzung am 03.02.1935 der Kauf
von 30 neuen Kappen beschlossen. Auch wurde der Wahlspruch des Karnevalverein geändert: Aus „Gut Stuss" wurde „Stuss-Heil". Das
nationalsozialistische Regime bemächtigte sich nicht nur der Sprache – der Vorstand nannte sich jetzt Führerstab und der 1.Vorsitzende war der
Führer – man wählte den Vorstand nicht mehr – er wurde bestimmt. 1936 legte Friedrich Ungeheuer sein Amt als Führer nieder und Heinrich
Fuchs wurde in dieses Amt bestimmt und Friedrich Ungeheuer wurde sein Stellvertreter. In diesem Jahr gab es für lange Zeit die letzte Sitzung.
Man legte sie auf den Fastnachtsonntag und man konnte an diesem Abend auch tanzen. In den folgenden Jahren veranstaltete der Verein
Fastnachtsonntag einen Maskenball und Fastnachtdienstag den obligatorischen Lumpenball, Sitzungen waren wohl politisch unerwünscht. In
diesem Jahr wie auch 1935 und 1937 lehnte man einen Besuch in Oberursel ab. Der dortige Verkehrs- und Bürgerverein hatte zur
Taunusfastnacht geladen. Ob die Ablehnung auch noch andere Gründe als die beschriebenen finanziellen gab, ist nicht festzustellen. 1938
wurde über eine Vereinszusammenlegung des Karnevalvereins und des humoristischen Musikvereins beraten, allerdings ist es dazu nicht
gekommen.
1939 fand die letzte Kampagne vor Ausbruch des 2. Weltkrieges statt. Neben den beiden Bällen am Fastnachtsonntag und Dienstag zog
Sonntagnachmittag wieder einmal ein Umzug durch die Straßen von Oberhöchstadt. Außerdem wurde beschlossen, dass „in Zukunft kein
anderer Verein den Fastnachtsamstag abhalten dürfte". In der Generalversammlung am 12.03.1939 wurde dann noch eine Sammlung für ein
Wunschkonzert im Reichssender Frankfurt/M gesammelt. 6 RM kamen zusammen und es wurde das Lied „Wienerblut" gewünscht. Außerdem
beschloss man am kommenden 11.11. folgende Mitglieder für 25-jährige Mitgliedschaft zu ehren: Wilhelm Westenburger, Anton Busch, Christian
Henritzi, Georg Beitz, Philipp Schaub. Man schloss die Versammlung mit einem dreifachen Helau. Es ist nicht festzustellen, ob es zu den
Ehrungen gekommen ist, denn sechs Monate später begann der 2. Weltkrieg. Es gab dann nur noch eine protokollierte Versammlung und zwar
am 28.12.1941. Anwesend waren 18 Mitglieder, 25 fehlten. Der seit 1939 2. Vorsitzende, wurde zum 1. gewählt, „da der 1. Vorsitzende z. Zt.
abwesend ist". 1941 war wohl auch, was Deutschland betraf, der endgültige Anfang vom Ende. Nachdem Deutschland im Juni Russland
angegriffen hatte und in kurzer Zeit bis kurz vor Moskau vorgestoßen war, lernten die Soldaten erstmals Schlamm und Kälte bis 35 Grad unter
Null kennen. In der Heimat machten die Menschen mit Bomberangriffen und ersten Nahrungsmängeln „Bekanntschaft" mit dem Krieg: 400 g
Fleisch und 125 g Kunsthonig standen den Normalverbraucher pro Woche zu. Kartoffeln sollten nur als Pellkartoffeln zubereitet werden (weniger
Abfall beim Schälen) Neben den Lebensmittelkarten gab es aber auch Kleiderkarten, der Krieg verbrauchte Ressourcen jeglicher Art. Für die
sogenannte Endlösung waren die letzten Weichen gestellt: Juden mussten den Judenstern tragen und erstmalig wurden Juden mit Zyklon B
vergast, während Rapid Wien Deutscher Fußballmeister wurde und in den Schulen die lateinische Schreibschrift eingeführt wurde. – Sütterlin
hatte ausgedient.
Aus bis heute nicht erkenntlichen Gründen fliegt Rudolf Hess nach Schottland und Roosevelt wird zum dritten Mal zum Präsidenten der USA
gewählt, die nach dem Angriff der Japaner im Dezember auch offiziell in den zweiten Weltkrieg einstei-gen. In Deutschland wird der erste
Farbfilm (mit Marika Rökk und Willy Fritsch) aufgeführt und an allen Fronten wird „Lili Marleen" zum Hit.
Das letzte Protokoll vor der Neugründung 1952, auch das letzte, das von Georg Löhr (in Sütterlin) geschrieben wurde, schloss mit den Worten:
„Bei gemütlichem Zusammensein unterhielten wir uns kameradschaftlich noch einige vergnügte Stunden. Schluss der Versammlung Georg
Löhr". Dieser Georg Löhr hat bis zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre das Protokoll geschrieben und genauso lange hat Johann Limbach die Kasse
geführt. Heinrich Weis und Friedrich Ungeheuer tauschten in dieser Zeit mehrmals den 1. mit dem 2. Vorsitzenden. Eine respektable Zeit und
nur Aktive wissen wie viel Arbeit diese Männer in den Verein investiert haben.
Dafür sei ihnen Dank und Erinnerung
Der Versuch einer Chronik
Die ersten 100 Jahre des KV02